Von New York nach Boston – Juli 2000

27.07.2000

Donnerstag, 27. Juli 2000

Donnerstag, 27.07.00 – Ernst Kellner am Abend mit meiner neuen Fock ankommt. Wegen des Concorde-Unglücks durfte er einen Tag in Paris verbringen – Flughafen teilweise gesperrt…
Die Wartezeit verbringen die Jungs im Marine-Museum (Flugzeugträger „Intrepid“ , dazu ein strategisches U-Boot und ein Zerstörer) und auf dem World Trade Center, und die Mädels im Museum für Moderne Kunst (MOMA, mit einer wunderbaren Ausstellung zu moderner Kunst im Wandel).
Freiwillig so aufgeteilt(Jungens-Technik / Mädels-Kunst), nicht das jetzt jemand denkt, dass hier an Bord Sexismus herrscht!!! Zum Einkaufen und zum Abendessen beim Syrer um die Ecke gehen dann auch brav alle gemeinsam!

28.07.2000

Freitag, 28. Juli 2000

Freitag, 28.07.00 – Schiffs- und Sicherheitseinweisung, und dann geht’s es los: Manhatten Rund zum dritten Mal, ist aber immer wieder beeindruckend.
Und jedem fallen andere Sachen auf, dem Skipper zum Beispiel die riesigen Gefängnisanlagen hinter Manhattan… Sobald sich der Hudson River zum Long Island Sound weitet, setzt die neue Crew zum ersten Mal die Segel (die neue Fock steht prima!), dann kreuzen wir gemütlich bis Mamaroneck, wo man umsonst (!!!) an einem Schwimmsteg liegen darf. Außerdem reicht die Zeit noch zum Proviant-Bunkern, was in diesem kleinen, gemütlichen Städtchen besser geht als in New York.
Danach reicht die Zeit allerdings nicht mehr zum Kochen, deshalb gibt es, klassisch amerikanisch- Pizza-Party im Cockpit! Mit Party-Beleuchtung durch einen Feuerwehreinsatz am Ufer, weil da Diesel ausgelaufen ist!!

29.07.2000

Samstag, 29. Juli 2000

Samstag, 29.07.00 – Bedeckter Himmel, Flaute. Wahrscheinlich, weil Carola ihre Pizza-Portion nicht ganz geschafft hat!
Erst am Ankerplatz hinter der Insel Sheffield (bei Norwalk) kommt die Sonne durch und lädt zum Erkundungsspaziergang ein. Einen alten Leuchtturm, Kanadische Wildgänse, einen Waschbären und die Reste riesiger Pfeilschwanzkrebse gibt es hier zu entdecken, Glühwürmchen markieren den Dinghi-Anlegeplatz, und Marlon startet eine Souvenirsammlung, die wahrscheinlich riesig wird…

30.07.2000

Sonntag, 30. Juli 2000

Sonntag, 30.07.00 – Das Sonnensegel wird gespannt – als Regenschutz… Nieselbrise von vorne…
Erst am Nachmittag reicht der Wind zum Segeln, trocken wird es auch, bis Milford halten wir durch, und das ist wieder eins von diesen Filmkulissenstädtchen: Amerikanische Flaggen vor jeder zweiten Tür, ein gepflegter Park als Hauptstraße und Mückenbrutplatz, ein paar nette Kneipen, eine prima Marina – und abends um 22.00 h werden die Bürgersteige hochgeklappt (die ohnehin ausschließlich von deutschen Yachttouristen benützt werden, deren Boot zu klein für eine Autogarage ist…).

31.07.2000

Montag, 31. Juli 2000

Montag, 31.07.00 – Wolfgang versucht alles mögliche, um den Ableger hinauszuzögern: Marlon bekommt eine neue Ölzeughose, die Crew wird zum Bierbunkern geschickt, ein Reff wird ins Großsegel gebunden, das Vorsegel wird gewechselt (auf kleine Fock) – aber dann geht es los.
Mitten in den Starkgegenregen. Das ist ein Dauerschauer bei sechs Beaufort von vorne. Echt ätzend.
Aber irgendwie auch spannend und abenteuerlich, zumindest für die Törnteilnehmer, die sowas noch nie erlebt haben. Dreieinhalb Stunden reichen als Erfahrung aber, dann liegt New Haven vor dem Bug, zwei letzte Wenden durch die Lücke zwischen den Wellenbrechern und ein Liegeplatz an einer Mooringboje vor der Oyster-Point-Marina. Zum Abendessen werden Hamburger gebrutzelt, danach wird Uno gespielt. Amerikanische Kultur als Ersatzprogramm für Amerikanische Natur, die leider im Regen verborgen bleibt…

01.08.2000

Dienstag, 01. August 2000

Dienstag, 01.08.00 – Ich gratuliere mir ganz herzlich: Zwei Jahre Kurs West!
Ohne große Schäden, ohne Verletzungen, ohne den Ausbruch des endgültigen Chaos‘, aber dafür mit hunderten von Gästen, ganz vielen Stammgästen, mit jeder Menge Spaß auf zig-tausenden von Meilen und mit ungezählten Abenteuern in über 20 Ländern!
Und kein Ende in Sicht!
Zur Feier des Tages regnet es ohne Unterlass, deshalb bekomme ich von der Crew einen Ruhetag zum „Geburtstag“, das trifft sich außerdem ganz gut, weil die 14 Millionen Bücher in der Bibliothek der Yale-Universität besichtigt sein wollen.
Das ist ziemlich beeindruckend, aber leider mal wieder für Yachten über 2m Rumpflänge verboten. Das mit dem Öffentlichen Nahverkehr hatten wir ja schon mehrfach, die Crew stelllt deshalb auch immer mehr auf den Privaten Nahverkehr um: Matthias und Christiane schaffen es sogar, einem gelangweilten Rentner eine ganze Stadtrundfahrt in seinem Auto abzuschwatzen!

02.08.2000

Mittwoch, 02. August 2000

Mittwoch, 02.08.00 – Zwei Stunden Nebelschleichfahrt, aber die Einheimischen haben für den Nachmittag schönes Wetter vorhergesagt, und wirklich: ab 12.30 h scheint die Sonne, der Wind weht leicht aus Südwest, und Marlon nörgelt so lange, bis Wolfgang den Blister setzen lässt.
Als Publikum für die Warsteiner-Reklame dient ein riesiges Regattafeld vor Mystic Seaport. Das Gedränge führt zwar zu einigen Beinahe-Kollisionen und zum Verlust einer Angelleine, aber die herrliche Kulisse an der Luv-Boje, wo dann alle anderen auch Spinnaker oder Blister setzen, macht die Aufregung mehr als wett!
Das sich zu alledem auch noch eine Fischerboje an meinem Ruder festhakt, hätte nicht wirklich sein müssen, aber spätestens beim Absacker mit Live-Band in einer Kneipe in Mystic zählen nur noch die positiven Eindrücke: die Sonne, die vielen bunten Segel und die wunderbare Hafeneinfahrt den Mystic-River hinauf, die Eisenbahndrehbrücke, die Straßenklappbrücke, die freundlichen und hilfsbereiten Amerikaner auf der Nachbaryacht, und der Anblick von Mystic im Sonnenuntergang…

03.08.2000

Donnerstag, 03. August 2000

Donnerstag, 03.08.00 – Mystic ist nämlich ein riesiges maritimes Freilichtmuseum.
Eine komplette Stadt wie aus dem frühen 19. Jahrhundert- mit allen Werkstätten vom Schmied bis zum Instrumentenmacher, mit Ausstellungen zu diversen Themen, und natürlich mit alten Großseglern, alten Kleinseglern, einem alten Leuchtturm – Tage könnte man hier verbringen, zudem ausländische Yachten mitten im Museum kostenlos anlegen dürfen.
Trotzdem legen wir um 14.00 h ab, in Fisher’s Sound wird der Blister wieder bei Sonnenschein gesetzt – bis es am Abend nebelig wird. Ein Fischerboot kommt zu schnell aus einer Hafeneinfahrt, um noch als Gefahr auf dem Radar erkannt zu werden, weicht uns aber auch korrekt aus, ein Frachter funkt uns an und passiert hinter uns.
Und die ganze Zeit schuftet Ernst wie Kolumbus persönlich am Kartentisch und lotst uns durch alle Gefahren, während oben an Deck die Muschel reihum geht, weil einmal pro Minute laaaang-kurz-kurz getutet wird.
Um 21.10 h fällt dann in Newport der Anker, nach all der Spannung hat sich die Mannschaft das Abendessen und einen schönen Gitarrenabend mal wieder ehrlich verdient…

04.08.2000

Freitag, 04. August 2000

Freitag, 04.08.00 – Die Hauptstadt des amerikanischen Segelsports… die Yachten um uns herum sind einfach nur groß, größer, am größten. Oder teuer, teurer, am teuersten… Aber die beeindruckende Hafenrundfahrt macht hier an Bord trotzdem niemanden neidisch – was nützt die tollste Yacht, wenn sie nur im Hafen liegt?!
Ich ernte übrigens regelmäßig Bewunderung, wenn die Amis herausbekommen, dass ich wirklich über den großen Teich gesegelt bin. So ist das Leben: Hier haben die Menschen das Geld für wunderbare Schiffe, aber keine Zeit, damit zu segeln. Da ist sind mir mein Skipper und meine Gäste dann doch lieber: ohne das große Geld – aber mit viel Zeit!
Mit einer leichten Brise segeln wir bis nach Cuttyhunk, das ist eine der kleinen Inseln um den berühmten „Martha’s Vineyard“ herum – ein Traumrevier ohne hohen Seegang, aber mit Inseln und Buchten und Sunden und sicheren Mooringbojen (von denen wir direkt am Strand eine nehmen). Nur leider nicht ganz einsam, zudem der Wochenendrummel so langsam losgeht.

05.08.2000

Samstag, 05. August 2000

Samstag, 05.08.00 – Schwimmen, brunchen, in der Sonne liegen, lesen… was eine faule Crew halt so veranstaltet, während sie auf das Einsetzen des Windes wartet.
Mittags setzt sich die schöne thermische Brise dann durch, der Blister wird wieder für großes Publikum (Wochenendverkehr wie auf dem Starnberger See am einzigen Sonnentag in einem verregneten Sommer…) gesetzt und sorgt für großes Hälseverrenken und Rätselraten auf dem Sund, denn deutsche Bierwerbung in Spiegelschrift (da Backbordbug!) ist natürlich was Außergewöhnliches…
Schnelle 22 Meilen weiter hängen wir uns in der nächsten Bucht (Pocassat Harbor) an die nächste Boje – Schwimmen und Strandspaziergang wie gehabt!

06.08.2000

Sonntag, 06. August 2000

Sonntag, 06.08.00 – Nur drei Meilen weiter wurde Anfang des letzten Jahrhunderts der Cape Cod Channel gebaggert, um dem Frachtverkehr den gefährlichen Umweg um das Kap herum nach Boston zu ersparen.
Heute sorgen hunderte Motoryachten und über vier Knoten Flut-Schiebestrom (den wir natürlich abgewartet haben) dafür, das die Wellen in der schmalen Rinne höher sind, als auf freiem Wasser! Macht aber nichts, ist eher lustig und spannend und dauert ja auch nur eine gute halbe Stunde lang, dann ziehen mich Großsegel und Fock bis nach Plymouth.
Direkt neben unserer Mooringboje kämpft eine Kindergeburtstagsparty von einem Ausflugsboot mit Wasserpistolen gegen ein „echtes“ Piratenschiff, der „besiegte“ Pirat greift aus Kummer über seinen verlorenen Schatz dann auch noch meine friedliebende Crew an! Hilfe!!!
Am Ufer liegt ein Nachbau der Mayflower, mit der die Pilgrim Fathers hier landeten – Amerikas älteste Siedlung bietet Geschichtsunterricht an jeder Straßenecke! Und die Restaurants bieten frischen Hummer… ich danke für die Erfindung der Plastiklätzchen, sonst hätte mich meine vollgekleckerte Mannschaft geruchsmäßig wahrscheinlich in einen Fischdampfer verwandelt…

07.08.2000

Montag, 07. August 2000

Montag, 07.08.00 – Gott sei Dank vernavigiert sich der Skipper um 12 Meilen, weil er eine Seite im Kartensatz überschlägt – sonst wäre der wunderbare Halbwindkurs nämlich viel zu früh zu Ende gewesen! Marlon legt ab und dann sind es nochmal 35 wunderbare Meilen bis zum einsamen Ankerplatz in der Inselgruppe vor Boston.
Eine große Makrele springt im letzten Moment vom Köder. Schade.
Im Hintergrund sieht man schon die Skyline von Boston. Auch schade. Zusammen mit dem Sternenhimmel kommt schon ein bisschen Wehmut auf…

08.08.2000

Dienstag, 08. August 2000

Dienstag, 08.08.00 – Astronavigation wollten sie alle noch unbedingt ein wenig lernen – macht der Skipper ja immer gerne- auch wenn wir noch vor Anker liegen!
Der letzte Segeltag entwickelt sich dann zu einer wunderbaren Miniregatta durch das Inselwirrwarr, das den Hafen von Boston bildet.
Auf der Kreuz vor der Landebahn vom Flughafen gurgelt dann das Wasser durch die Speigatten in der Fußreling, aber gekniffen wird nicht, weder bei uns, noch bei den vielen „Gegnern“, auch wenn die Schläge kurz und kürzer werden, je weiter wir uns der Altstadt nähern. Gewendet wird immer auf der 7-Meter-Linie, und keine Sekunde vorher. Matthias lässt sich nicht vom Ruder verdrängen, Wolfgang hat den Hafenplan in der Hand versucht, den Überblick zu behalten, Marlon und Carola an der Steuerbordfockwinsch, Ernst und Christiane an Backbord… und das mit dem Fährverkehr, das passt schon…
In der Rowes Wharf Marina ist noch ein komfortabler Liegeplatz frei, außerdem ist es von hier aus nicht weit zum Kneipenviertel, schließlich muss ja noch Abschied gefeiert werden!

09.08.2000

Mittwoch, 09. August 2000

Mittwoch, 09.08.00 – Nach dem obligatorischen Putzen reicht die Zeit noch für einen Besuch im Aquarium, außerdem schaut Christoph Glaser persönlich vorbei und heißt die neuen Gäste an Bord willkommen: Ulrike und Nico Jenke und Rudi Schleiff aus München wollen mit mir, Wolfgang und Matthias (der bleibt ja noch zwei Wochen) die Gegend nördlich von Boston erkunden, und da der erste Abend schon bis nach Mitternacht dauert, wird das bestimmt lustig…
Der „alten“ Crew an dieser Stelle schönen Dank und guten Flug (besonders für Marlon, weil er zwar einerseits eine Stewardess für sich alleine bekommt, andererseits aber mit diesem peinlichen, leuchtend gelben Brustbeutel für alleinfliegende Kinder rumlaufen muss…)!